Auch zur Ausstellungseröffnung „Landschaft – Fotografische Positionen“ am 12.4.2013, im Kunsthaus Troisdorf kamen wieder zahlreiche interessierte Besucher/innen.
Bürgermeister Klaus-Werner Jablonski begrüßte Besucher/innen und die ausstellenden Künstler Bruni Encke, Thmas Graics, Britta Lauer und Marcus Schwier in der Städtischen Galerie im Kunsthaus.
Musikalisch begleitet wurde die Ausstellungseröffnung vom Gitarrenensemble der Musikschule unter der Leitung von Alfred Froitzheim.
Aus der Rede zur Ausstellungseröffnung:
Zwei Fotografinnen und zwei Fotografen bebildern heute unseren Seh- und Denkraum: Bruni Encke aus Krefeld, Britta Lauer aus Duisburg, Thomas Graics aus Neuss und Marcus Schwier aus Düsseldorf. Die einzige Gemeinsamkeit, die sie haben, ist, dass sie sich hier als Landschaftsfotografen präsentieren und dass sie allesamt künstlerische Fotografen sind.
Und eines haben sie noch gemeinsam: Sie sind Weitgereiste. Wenn ich die Orte und Landschaften aufzählen sollte, die die Künstler einzeln besucht haben, dauerte zu lange. So sage ich einmal, wenn sie zusammen gereist wären, hätten sie mindestens eine Weltreise hinter sich. Schaut man in das Oeuvre der Fotografen, so scheint es keinen fotografischen blinden Fleck dieser Erde zu geben, der nicht in Augenschein genommen worden wäre.
Die Künstler sind jedoch keine Reisefotografen. Ihre Konzepte sind sehr unterschiedlich, aber eines ist gewiss: Es geht ihnen nicht um die Dokumentation im Sinne eines Reiseberichts wie wir es vielleicht vermuten könnten, auch nicht um einen „orbis pictus“ im Proustschen Sinne „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, wenn auch jede Fotografie als eine Spur eines Augenblicks unwiederbringlich ist.
„Die Welt der Bilder ist ungeheuer, dass nur, wenn ich mir die Welt von ihren Milliarden Bildern: den Fotos, Filmen, Fernsehphantomen und Plakaten entleert vorstelle, nur das reine Nichts übrigbleibt“ (Günther Anders). Dazu kommt einem ein Stück Literatur in den Sinn, Arno Schmidts „Tina oder über die Unsterblichkeit“ (1955), das von der Unmöglichkeit der Menschen handelt, wirklich zu sterben, bevor nicht die letzte symbolische Spur ihrer Existenz in Schrift und Bild auf der Erde getilgt ist.
Und hier in dieser Ausstellung nun ein weiteres von einem halben hundert Bildern von 4 Fotografen. Es fällt uns nicht schwer die Handschrift der Fotokünstler in diesem kubischen Raum differenziert wahrzunehmen und lesen diese im Uhrzeigersinn als jene von Thomas Graics, Britta Lauer, Bruni Encke und Marcus Schwier. Eines haben diese Werke und Fotokünstler gemeinsam: Sie alle zeigen uns Landschaften. In keiner dieser Landschaften können wir Menschen sehen. Darüber hinaus bedienen sich die Fotografen der Analogkamera und die Bilder sind nicht bearbeitet. Und keiner dieser Fotografen würde je auf den Auslöser drücken, ohne das Konzept einer konkreten Bildvorstellung. Hier sprechen wir auch gerne von dem „geistigen Auge“ des Künstlers, das das Bild bereits fertig sieht, bevor er überhaupt die ersten Anstalten zur Aufnahme trifft. Das waren auch schon die Gemeinsamkeiten.
Ein Positiv, und nichts anderes ist das, was wir hier sehen, meine Damen und Herren, kann niemals den Helligkeitsumfang der meisten Motive wiedergeben, zumal unter den schwierigen Lichtverhältnissen, mit der die Landschaftsfotografie zu kämpfen hat, wie z.B. Lichtreflexionen von bzw. auf Wasser- oder Eisflächen, Schattenwürfe in Gebirgsformationen. Damit reduziert sich das Foto notwendig auf eine angenäherte Wiedergabe der Motivwerte. Und das macht ja gerade die schöpferische Fotografie aus, dass sie dem Fotografen die unbeschränkte Wahl lässt zwischen der möglichst identischen Gegenstandskopie und der Interpretation auf ausgeprägt persönlichen „Wegen aus der Wirklichkeit“.
Der Spannungsbogen der künstlerischen Ausdrucksmittel reicht von eruptiver Farbigkeit bis hin zum tiefsten Schwarz-weiß-Kontrast in feinsten Grautonstufen. Von der verwischten Unschärfe bis hin zur scharf gestochenen Linie. Die Präsentationsformen vom Duraclear in Glas über das Diasec-Verfahren bis hin zum Handabzug auf Barytpapier. Über das Querformat zum Hochformat und das Quadrat. Von Island in die Arktis und Antarktis auf die Himmelsleiter, in Zentralasien stehend, hinauf in die Wolken.
Zunächst einmal muss gesagt werden, dass wir das, was auf diesen Bildern gezeigt ist, niemals in dieser Weise hätten sehen können, wenn wir mit „sehen “ meinen, wie alle abgebildeten Gegenstände einem neben der Kamera stehenden Betrachter erschienen wären. Erstens nämlich ist unser Gesichtskreis nicht rechteckig umgrenzt; er ist im aristotelischen Sinne, unbegrenzt. Zweitens: selbst, wenn wir ein Auge schließen und in einer Entfernung, die der Brennweite des Objektivs entspricht (dem sogenannten Distanzpunkt der perspektivischen Konstruktion), einen Rahmen in den Ausmaßen des Originalnegativs vor das Auge halten, so sähen wir immer noch nicht, was auf dem Bild gezeigt ist. Die Fotografie zeigt von einem Rand zum anderen zum anderen alles in scharfen Umrissen, während wir aufgrund der Beschaffenheit unserer Augen nur im „Zentrum“ unseres Gesichtskreises scharf sehen.
Der Fotograf hat die Leistung zu vollbringen mittels der Entwicklung eines Bildkonzepts die Dreidimensionalität der Objekte in die Zweidimensionalität der Ebene des Bildausschnittes zu transponieren, d.h. sich die Umwelt in fotografischen Kategorien vor Augen zu führen. Er stellt durch unzählige Kontrollen sicher, dass die Bilder dem entsprechen, was er gesehen und gefühlt hat. Wenn das gelingt, erkennen und akzeptieren wir als Betrachter im Bild unsere eigene Wirklichkeit. Und wir dürfen sicher behaupten und müssen damit gleichzeitig berücksichtigen, dass nie zwei Leute die gleiche Umwelt in gleicher Weise wahrnehmen.
Der Neusser Fotograf Thomas Graics sieht die Welt von oben. Mehrmals im Jahr ist er auf Island und betrachtet die Welt als Pilot aus der Luft. Die Aufnahmen entstanden zwischen 2005 und 2011 und sind gleichzeitig Langzeitstudien und Zeugnisse der Veränderungen eines Landschaftsraums. Island, im europäischen Nordmeer liegend, bietet einen unermesslichen Reichtum an geologischen und topografischen Besonderheiten. Eine karge Insel, bestimmt durch den aktiven Vulkanismus und die Bodenerosion. Vulkane, heiße Quellen, Kies- und Steinwüsten, Sandküsten, unbewohnte Hochflächen. Island ist zu ca. einem Zehntel mit Gletschereis bedeckt, die größten Gletscher Europas. Riesige Schmelzwasserfluten stürzen in die Fjorde und sorgen für eine permanente Veränderung der Landschaft. Graics ist nicht nur Fotograf, sondern auch Maler, der sein Handwerk an der Kunstakademie Düsseldorf erlernt hat. Auf den ersten Bild erscheinen seine Luftbilder weniger als Fotografien als vielmehr wie abstrakte Gemälde von eruptiver Farbigkeit. Wir erkennen nicht die topografischen Gegebenheit der Landschaft in Höhen und Tiefen, sondern sind vielmehr gefangen von den Farbflüssen- und Wirbeln ein wenig an die Malerei des Informell erinnernd. Farbwirbel – und Stürme, die sich zu amorphen Gebilden formieren und bei längerer Betrachtung Gestalt annehmen bis hin zum Kerberos, in der griechischen Mythologie jenem Höllenhund, der den Eingang zur Unterwelt bewachte und keinen der Eingetretenen mehr herausließ. Graics Arbeiten oszillieren zwischen der dokumentierenden Spurensicherung und einer poetischen Lichtmalerei, die die Phantasie des Betrachters evoziert.
Flächigkeit steht gegen Dreidimensionalität. Die Aufnahme aus der Luft lässt die topografischen Gegebenheiten in der Fläche einschmelzen, sie als einen abstrakten „Flickenteppich“ erscheinen. Sie selber kennen den Blick aus dem Flugzeug…Diesen tut Thomas Graics mit seiner Kamera ebenso in wagehalsigen Luftkapriolen, denn zur Vermeidung eines schrägen Aufnahmewinkels, lässt er seinen Kopiloten die Maschine in einem Neigungswinkel von bis zu 70 Grad fliegen. Er hängt sich sozusagen aus der Maschine.
Die Flächigkeit der Ebene führt Graics dann in ein quasi dreidimensionales Bild zurück. Durch die Entwicklungstechnik auf Duraclear, einem lichtdurchlässigen Material und die Verschraubung in zwei Glasplatten entsteht ein ähnlicher Effekt wie bei der Diaprojektion auf die Wand, denn die Glasplatten sind nicht Plan auf die Wand gehängt, sondern in einem bestimmten Abstand angebracht. Dadurch wird das quasi Dia auf die Wand projiziert, je nach Lichteinfall durch die Beleuchtung, um einige Millimeter bis cm verschoben, entsteht so an der Wand ein zweites Bild, das wiederum das Originalbild von hinten durchstrahlt. Graics erzielt damit einen quasi 3-D-Effekt im Auge des Betrachters, der nun in die Licht- und Farbenwelt Islands eintaucht.
Island heißt ja nun nichts anderes als „Eisland“. In solche „Eisländer“ hat sich die Duisburger Fotografin Britta Lauer zweimal begeben. Der Künstlerin, die an der Essener Folkwangschule von den Professoren vom Endt und Oswald ausgebildet wurde, arbeitet in Werkgruppen. Neben der Portraitfotografie, beschäftigen sie immer Landschafts- u. Naturräume im Sinne einer Zeit- und Spurensicherung. Es sind die unbequemen Landschaften, die sie fokussiert. So unternahm sie 1995 und 1999 Expeditionen gemeinsam mit Polarforschern auf dem deutschen Forschungsschiff Polarstern des renommierten Alfred-Wegner-Instituts in die Antarktis und Arktis. Unter schwierigsten und kräftezehrenden Bedingungen, bei minus 25 bis 30 Grad an der Reling stehend, den richtigen Moment abwartend, bis das Licht gnädig ist, entstanden Bildzyklen von Eisstrukturen, die ihre subjektive Wahrnehmung dieser einzigartigen Naturräume darstellen.
Dabei dient ihr die Kamera immer nur als ausführendes Organ einer Bildidee, die bereits in ihrem Nachdenken über das Motiv angelegt ist. Sie ist eine Vertreterin der reinen Fotografie, die durch ihre nahezu analytische Sehweise ein Maß an Abstraktion erzielt, was das genaue Hinschauen provoziert. Man könnte auch mit den Worten von Paul Valéry, dem Vertreter der „reinen Poesie“ des 20. Jahrhunderts, formulieren: „Zu zeigen, was man gewöhnlich nicht bemerkt, was aber sichtbar da ist und was man unmöglich übersehen kann, sobald es sichtbar gemacht worden ist, ist diese schönste Rolle des Geistes.“
Der Fotografin liegt das Pittoreske nicht, landschaftliche Stimmungsbilder suchen wir vergeblich in ihrem Oeuvre, vielmehr will sie die Gegebenheiten vor Ort authentisch und unverfälscht, nicht nur wahr, sondern wahrhaftig, abbilden. „Ich liebe die Reduktion aufs Wesentliche, da sie Direktheit und Geradlinigkeit mit sich bringt“, so Lauer. Das bedingt auch eine Auflösung der Tiefendimension zugunsten der Flächigkeit. Eine räumliche Verortung wird für das Auge des Betrachters unmöglich. Wir finden uns hier also in einer Art „terra incognita“ unserer eigenen Befindlichkeit, in der uns unsere Sinne schwinden. Distanzen können wir nicht abschätzen, das Bild nimmt unseren Blick in seinen Sog, denn Britta Lauer gibt uns nicht den geringsten Anhaltspunkt, an dem wir die Dimensionen der Weite dieser Eiswüsten festmachen könnten, eben als schauten wir in das unendliche Nichts. Einzig die Dichte der Eisstrukturen, Hell- und Dunkelwerte lassen uns Nähe und Ferne vermuten. Sie lenkt unseren Blick durch die Reduktion auf das „Wesentliche im Unscheinbaren, auf das Große im Kleinen, auf die Vielfalt im scheinbaren Nichts“, wie sie es selbst formulierte.
Lauer überlässt nichts dem Zufall. Die Vergrößerungen aus den Mittelformatnegativen erarbeitet sie in stundenlangen Sitzungen gemeinsam mit einem Fachlabor. Das quadratische Format dieser Werkgruppe ist ein Träger der Ruhe und kontemplativen Stille in dieser menschenleeren Weite.
Hauchdünn, durchscheinend, zerbrechlich, verletzlich. Britta Lauer spricht in uns zwei „Urfreuden“ an. Einerseits die Freude am Realgehalt, am genauesten Betrachten, Sehen eines Stücks der Wirklichkeit, andererseits den Genuss des Fremd-, Entlegen, Seltsamwerdens derselben Welt.
Entlegene Orte zeigt uns auch die Krefelder Fotografin Bruni Encke. Sie ist eine Meisterin der Schwarzweiß-Fotografie und führt uns heute nach Zentralasien, lässt unsere Augen hochgleiten an den unermesslich hohen Mauern der entlegenen Gebirge Tibets, nimmt uns mit in die Mongolei und nach Kirgisien. Es geht ihr in ihren Fotografien nicht um die Frage nach dem: „Wo ist das oder wo war das?“, sondern vielmehr um eine allgemein verständliche Bildsprache, die die Landschaftsräume für den Betrachter lesbar macht, aber nicht topografisch bestimmt. Sie zeigt uns tiefe Schluchten, schrundige Gesteinsformationen, Wasserfälle…. Ja sicherlich, diese Fotografien setzen etwas in uns in Gang – sie Appellieren an unsere Empfindung. Das Gefühl des Kleinseins vor dem Großen. In diesen Bilder spiegelt sich eine bestimmte Attitude der Autorin wieder: die Ehrfurcht vor der Allmacht der Natur jenseits einer dokumentarischen Abbildlichkeit.
Hier handelt es sich nicht um naturalistische Imaginationen, die danach suchen durch zahllose Töne und Zwischentöne zu imponieren. Es geht Encke eben nicht um jene Geschlossenheit des Bildes, die einer augenscheinlichen Geschlossenheit der Außenwelt gleichzukommen sucht. Wir sehen vielmehr auf ein „Ganzes“, das dann das eigentliche Ereignis des Bildes ist. Das eigentliche Ereignis des Fotos ist eine neue Summe des Bildes, die durch Abstraktion gezogen wird. Die Frage: wie kann man Geistiges fotografieren, stellt sich schnell. Wie kann man es?
Indem die Kamera denselben Weg geht wie der Intellekt, indem sie nicht am undifferenzierten Detail haften bleibt und nicht ohne Orientierung an tausende Details sich verliert – das ist einzig die Methode der mechanischen Wiedergabe, sondern indem sie hinsichtlich des Ganzen eine Intuition besitzt, auf die es ankommt. Dieses Ganze ist meta-materiell, es kann nur durch den abstraktiven Akt der Kamera erfasst werden. Und durch dazutun der Fotografin, die die unendliche Mühe auf sich nimmt, in der heimischen Dunkelkammer die Negative selber zu entwickeln und zu vergrößern. Sozusagen ein meditativer Akt der Stille und des sich Sammelns.
Nach einer Reise hantiert Bruni Encke zwischen Tabletts, Chemikalien, Rotlicht und gläsernen Messgefäßen, um bei dem langsamen und mühsamen Prozess der Werdung des Gesehenen auf dem Barytpapier, einem speziellen Fotopapier, das eine versprochene Haltbarkeitsdauer von ca. 400-500 Jahre hat, anwesend zu sein.
Welche Wirklichkeit ist eigentlich anwesend, meine Damen und Herren? Oder ist es vielmehr die Abwesendheit der Dinge, die uns zum Denken anregt. Ist es die Schärfe in der Darstellung oder vielmehr die Unschärfe. Jeder Life-Fotograf ist heute durch eine stille Konvention vereidigt, dass er nur die Wirklichkeit fotografiert und nur, was ihm die Wirklichkeit zu bieten hat.
Der Landschafts-und Architekturfotograf Marcus Schwier aus Düsseldorf widmet sich dem Ereignis der Wirklichkeit auf dem Vektor des Zeitlichen als einem Bewegungskontinuum. Der Fotograf ist eigentlich nicht prädestiniert diese Himmelsphänomene, die permanent ihr Volumen und ihre Gestalt verändern mit der Kamera festzuhalten.
Von allen theoretischen Erwägungen unbenommen, fasziniert an den Wolkenbildern von Marcus Schwier, die mit den zaghaft angedeuteten Landschaftsraum zu verschmelzen scheinen, das räumliche Nirgendwo, in das der Betrachter versetzt wird. In der Geschichte der Fotografie finden wir immer wieder Wolkenstudien, etwa E. Muybridge, der mittels der stereografischen Konstruktion eine Bildachse ins Spiel gebracht hat. Schwier liefert jedoch keine Anhaltspunkte, die zum Standort des Bildautors führen oder irgendeine Richtung verfolgen lassen. Es gibt kein Oben und Unten, dem Betrachter wird der Boden entzogen, der Blick fällt auf sich selbst zurück, die Fotografie bleibt für sich. Diese Bilder erzeugen, wenn man sich in sie vertieft, in uns dieses außerordentliche Gefühl der Instabilität, des Verlusts des Gleichgewichts, dass wir buchstäblich zu taumeln beginnen. Bilder, die kreisen, kreisen und wirbeln. Schwebende, losgebundene, luftige Bilder. Bilder, die fliegen.
Schwier stellt die Opazität und Flüchtigkeit der Wolken gegen die Zeit, die ständige Metamorphose gegen den Augenblick. Eine sich unablässig wandelnde Erscheinung der Natur wird gewissermaßen an ein Jetzt gebunden, das ihr fremd ist. Denn die Daseinsform der Wolke ist die stete Bewegung in der Atmosphäre wie in sich selbst, das Drehen, Sich-Aufbäumen, Zerreißen im Wind wie das Zusammenballen, Ineinanderschieben, Zusammendrängen. Nichts ist dem Wesen der Wolken ferner als der Schnitt durch die Zeit, der sie anhält und erstarren lässt. Die traditionellen Künste vermögen die Konfrontation von Bewegung und Stillstand, von erlebter, vorgestellter und angesichts des Bildes wahrgenommener Gegenwart in einem einzigen Bild zu verhandeln, während die fotografische Kunst dazuimmer mehrere benötigt. Nicht so bei der Fotografie vor Schwier, der fotografische Bildraum scheint unendlich dehnbar und das Gebilde der Wolken über den Bildrand hinaus zu fließen. Und es scheint ohne alles im Fluss, ohne eine zeitliche und statuarische Bindung, ohne eine Bindung an den Moment zu sein. In Anbetracht solcher Fotokunst kommt einem das Panta rhei des griechischen Philosophen Heraklit in die Erinnerung: „Ganzes und Nichtganzes, Zusammengehendes und Auseinanderstrebendes, Einklang und Missklang und aus Allem Eins und aus Einem Alles.“
Diese künstlerischen Fotografen gehen mit ihren Arbeiten eine „Naturallianz“ (Ernst Bloch) ein, die sich aus einer Haltung schöpft, die man mit Hans Jonas das „Prinzip Verantwortung“ nennen mag. Hier geht es nicht um einen Rückzug auf scheinbar „natürliche“ und anthropologische Determinanten. Hier wird nicht die Idylle herbeigesehnt, sondern vielmehr in einer „moralischen Empfindlichkeit“ gedacht.
Die Ausstellung „Landschaft“ zeigt uns auch, dass in der Kunst das Wissen um die Bedrohung des Menschen und der Erde und um unsere Verantwortung für ihre Rettung durchaus vereinbar sind mit dem freien Spiel der Phantasie.
Und nun hoffe ich, dass sie einen Silberstreif am Horizont erblicken und wünsche Ihnen einen sinnlichen und emotionalen Dialog, in dem sich neue Gedankenhorizonte für Sie eröffnen mögen.
Dr. Susanne Höper-Kuhn