Unter dem Titel „NEUSTART“ zeigen die Künstler/innen Margret Schopka, Rosemarie Stuffer, Stefan Philipps und Rolf Scheider vom 21. März bis 18. April im Kunsthaus Troisdorf eine Auswahl ihrer Arbeiten. Ihre Werke scheinen auf den ersten Blick nicht viele Gemeinsamkeiten aufzuweisen, doch der genauere Blick deckt viele Überschneidungen auf. Alle vier benutzen eher gewöhnliche bzw. alltägliche Materialien um zu ihren künstlerischen Aussagen zu gelangen. Dabei geht es bei allen um das Thema Assoziation und Deutungsfreiheit. Die zumeist abstrakten Arbeiten sind dabei realitätsnäher als es den Betrachtenden auf den ersten Blick hin auffallen mag.
Allen vier Künstler*innen gemeinsam ist das Bestreben sowohl realitätsfreie wie auch realitätsbezogene Assoziationen hervorzurufen und so bei den Betrachtenden die visuelle Suche nach Unbekanntem und Bekanntem zu stimulieren.
Die Ausstellung ist zu den Öffnungszeiten (Sa. 15 – 18 Uhr u. So. 11 – 14 Uhr) nur nach vorheriger Anmeldung und Terminvereinbarung per E-Mail unter scheider.stuffer@t-online.de oder telefonisch unter 0178-6350949 zu sehen. Für den Besuch ist ein ausgefülltes Kontaktdatenformular erforderlich. Das Formular kann vorher von der Webseite des Kunsthauses heruntergeladen und zu Hause in Ruhe ausgefüllt werden.
VIDEO ZUR EINFÜHRUNG IN DIE AUSSTELLUNG:
https://www.youtube.com/watch?v=VGl2S0f4DSI
EINFÜHRUNGSTEXT ZUR AUSSTELLUNG:
Einen „Neustart“ legen die vier Künstler und Künstlerinnen nun unbeirrt auf das Parkett im Kunsthaus Troisdorf. Lange genug haben sie gewartet, eingespannt in ein entsetzliches Hin und Her von Lockdown, kurzen Öffnungen und neuen Enttäuschungen.
Und jetzt ist es so weit. Die neuen virtuellen Möglichkeiten des Films werden miteinbezogen, und da man so einen virtuellen Rundgang auch abspeichern kann, wird er vielleicht mehr Dauer entwickeln als manche real besuchte Ausstellung. Ein schwacher Trost wenigstens. Doch der haptisch sinnliche Eindruck, das Verweilen vor den Originalen, und zwar genau so lang wie man möchte, im selbst gewählten Abstand und Einfallswinkel vom Licht, das kann natürlich nicht ersetzt werden. Also versuchen Sie, sobald das möglich ist, hierher zu kommen. Doch der Film gibt nun einen ersten Einstieg in die Arbeiten von vier unterschiedlichen Künstlern und Künstlerinnen, die überraschend gut zusammenpassen.
Es sind Margret Schopka und Rosemarie Stuffer, Stefan Phillipps und Rolf Scheider, die hier in dem großen luftigen Kunsthaus in Troisdorf ihr Werk vorstellen. Ein Miteinander, das sich auf interessante Weise ergänzt, was man natürlich am besten an den raffinierten Sichtachsen der Ausstellung sieht, wobei alle vier das Tafelbild auf ihre „Art“ und Weise umspielen oder es auch verlassen, indem sie auf verschiedenste Weise den Raum erobern. Es ist eine Ausstellung, die zeitkritisch ernst ist, und doch auch voller Humor zum Schmunzeln einlädt, voller ästhetischer Schönheit und Entdeckungen. Den Arbeiten haftet etwas Prozesshaftes an.
Sie sind aus Veränderung entstanden wie die Rostarbeiten bei Stefan Phillips, sie können sich im Vorbeiziehen verändern wie bei dem Drahtseilakt von Rolf Scheider oder sie verändern sich, wenn man sie umgeht, wie die Hausskulptur bei Rosemarie Stuffer oder sie verändern sich in und mit der Zeit, wie bei Margret Schopka, die eine niemals fertiges Tapisserie zeigt, schön wie die Unvollendete (Symphonie) von Franz Schubert. Das ist Kunst als Lebensbegleitung bei allen vieren. Und doch haben die vier jeweils auch ein ganz eigenes Profil.
Überall wo es licht und hell ist, sind die sanften Geheimnisse von Rosemarie Stuffer zu entdecken, sei es Malerei, seien es Wandobjekte aus Papier oder Draht, oder ihre Radierungen , die hier zum ersten Mal zu sehen sind. Es eignet ihnen etwas Schwebendes, etwas der Schwerkraft Entzogenes, ja es sind vielleicht wirklich Engel mit leichtem Flügelschlag, die durch diese Bilder ziehen, die erst in diesen Sommer in Salzburg entstanden sind, wo die Künstlerin regelmäßig Fortbildungskurse besucht. Es sind Kaltnadelätzungen in der Kupferplatte. Feinst bewusst gesetzte Schraffuren, die Räumliches andeuten, stehen in Spannung zu leichthin gestreuten, flockigen Strichbüschelchen, doch diese Spannung bleibt ein sanftes Tauziehen um das Geheimnisvolle. Titel wie „Traumwunsch“ verraten dieses schwebend nicht Festzulegende. So ist es auch bei einer, aus leichtem Papier bestehenden hellen Hausskulptur, bei der die gelben Fensterbretter nach innen oder außen geklappt, diese Bewegungselemente wiedergeben, von denen ich anfangs sprach. Es ist eine Skulptur, die umgehbar ist und das kann man sogar mit der Kamera einfangen.
Völlig anders ist die Bewegung bei Stefan Phillipps, der geschliffen klare Kuben ganz bewusst in ein Informel setzt, das sich allein aus den Ausblühungen von Rost ergibt. Hier sind zwei Bilder zu sehen, die aufeinander bezogen sind und verschieden zueinander gedreht werden können. Sie bestehen aus einer starken inneren Spannung, indem klare geometrische oder stereometrische Quader und Kuben schnittartig mittels einer dominanten Weißlinie voneinander getrennt sind, während all das andere aufblühend und malerisch ineinander übergeht. Es ist ein natürliches Geschehen, das der experimentelle Künstler dem Rost abzutrotzen weiß, bis sich längere Ablösungsprozesse auf die aufgelegten Papiere übertragen und diese dann wiederum ebenso fragil werden wie die dünnen Rostbleche selbst. Solche Spannung zwischen Fragilem, Morbidem und den klaren Setzungen bestimmen die Bilder von Stefan Phillipps.
Doch noch mehr: wir fragen, was ist eigentlich eine horizontale Linie, evoziert sie nicht automatisch die Vorstellung eines Horizontes und damit ein Landschaftsbild? Und noch ein bisschen mehr: Werden uns hier „blühende Landschaften“ eröffnet, allerdings aus Rost, in denen nur wenige kulturelle Relikte in Form von farbigen Kuben dem diametral ausgreifenden Zerfall zu trotzen scheinen? Sollen wir das mal mit dem Klimawandel verbinden oder mit der Unfähigkeit des Menschen, dem es nichts nützt, sich in seine so schön und klar konstruierten Behausungen zurückzuziehen.
Mit Blechen arbeitet auch Rolf Scheider, der seine Teile auf Schrottplätzen findet und sie dann zu nobilitieren weiß, indem sie eine edle Patina annehmen, wie der kleine Kubus, der wie ein schwerer Basaltstein aussieht und doch ganz leicht ist, oder dieses kleine seltsam beseelte gedrungene Wesen, dem ich den Namen „Hobbit“ verliehen habe.
Von ganz anderer, leichterer „Art“ Ist die Reihe seiner Seiltänzer in einem kühnen Drahtseilakt im wahrsten Sinne des Wortes. Kurz vor der Wand ist das Seil gespannt, aber so, dass die Figuren darauf und darunter ihre interessanten Schatten werfen können. Dort turnen 12, ebenfalls aus Draht geformte Gestalten durchs Leben. Sie werfen die Arme lustvoll hoch in höchstem Vergnügen oder ducken sich ab bis zum Absturz oder zu einem letztendlichen Verdrücken. Auch hier ist alles Bewegung, durch die Schatten noch einmal vervielfacht. Es ist eine Zeichnung im Raum mit dem Echo des Schattens. Rolf Scheider stellt übrigens zum allerersten Mal seine Arbeiten in der Öffentlichkeit aus.
Auch wenn Margrets Schopkas Wandstücke an großartige barocke Teppiche erinnern, denken wir nur einmal an die Flämisch-Französischen Tapisserien, gehören sie doch zu jener Art Kunst, die sich kaum auf eine dekorative Ausgestaltung beschränken dürften.
Treten wir näher, dann erwartet uns ein Kosmos, der etwas organisch Gewachsenes hat, der nie zu Ende kommt, an dem die Künstlerin wie die Nornen in der alten germanischen Mythologie, immer weiter arbeitet. „Ich mache nichts mehr neu, ich überarbeite nur noch“, sagt sie selbst.
Hier geht eine stille Veränderung vor, die sich in den unmittelbar aus der Natur gegriffenen Blüten, Blättern und Moosen abzeichnet, die sich mit den von vorn nach hinten durchgezogenen Fadenschlingen eines riesigen Stück Teppichbodens verbindet, den Margret Schopka hier zum Bildträger gemacht hat , während sie dort ein Nichts als Bildträger gewählt hat, ein transluzides Nichts, transluzid wie die Zahl „Null“ in Form von durchsichtig gläsernem Tapetenkleister. Geformt, bearbeitet, geschönt, bereichert auch mit Ornament-Siebungen von Kaffeesatz oder Vulkanasche. Diese gewaltige Arbeit wirkt hier kraftvoll und imposant im Raum. Margret Schopka verwendet äußerst sparsame Materialien wie den gebrauchten Teppichboden, die gefundene Vulkanasche, den Tapetenkleister oder die Blüten, die sie findet. Sie arbeitet experimentell und entwickelt aus den allerdünnsten kleinen Algenfäden ihre eigene Kalligrafie. Es geht dabei um ein Werden und Vergehen, eingebunden in eine quasi unantastbare Natur, dem die über weite Strecken in Island lebende Künstlerin ihr besonderes Augenmerk widmet, ohne ihr je zu nahe zu treten oder sie gar zu zerstören.
Sehr persönlich ist ihre Tagebuchwand, die ebenfalls Köpfe enthält, größere und winzig kleine, sogar einen aus einer Kastanie geschnitzt. Zugleich korrespondiert sie damit auch wieder mit den Drahtköpfen von Rosemarie Stuffer oder von Rolf Scheider,
Achten Sie auf diese diffizilen Materialien und Sie werden noch etwas entdecken: Es ist auch weithin eine „Arte Povera“, eine Kunst mit einfachen unprätentiösen Mitteln. Allen vieren geht es dabei um Form und Deformation, um Klarheit und Verschleierung und eine Umwidmung unserer alltäglichen Wahrnehmung. Wir dürfen staunen und das macht eine Kunstausstellung in diesen restriktiven Coronazeiten doppelt wertvoll.
Heidrun Wirth